Der deutsche Apotheken-Markt steht absehbar vor einer gewaltigen tektonischen Verschiebung. Bereits im vergangenen Jahr holten sich die Online-Apotheken in der Pandemie massiv Marktanteile. Mittlerweile bestellt der Deutsche jedes 5. verschreibungsfreie Präparat im Internet. Zur Info: Allein der deutsche Apotheken-Markt kommt auf ein jährliches Umsatzvolumen von rund 55 Milliarden Euro. Den europäischen Kuchen taxieren Beobachter auf ungefähr 250 Milliarden Euro. Noch ist dieser Markt eine Domäne der eingesessenen stationären Anbieter.
Vor allem in Frankreich und Spanien ist das Apothekennetz dicht, und besonders Franzosen gelten in dieser Angelegenheit als konservativ und misstrauen dem Online-Handel. Besonders ältere Patienten sorgen sich um die Versorgung. Das größte Bedenken bezieht sich dabei auf die Notfallversorgung. Ein Beispiel: Ein übler Zahnschmerz quält Sie, Sie gehen die Wände hoch. Dann sind Sie nicht geneigt, Ihren Laptop-Rechner aufzuklappen und das Schmerzmittel über die DocMorris-Plattform zu bestellen. Sie wollen die Linderung sofort.
Es ist richtig: Für solche Notfälle bieten die Online-Dienstleister momentan noch keine echte Lösung an. Die dezentrale Aufstellung von Medikamenten-Automaten hat erst im vergangenen Jahr ein deutsches Gericht gekippt, und damit dem schweizerischen Marktdisruptor Zur Rose einen empfindlichen Dämpfer verpasst. Gut Ding, besonders in unserer Gesundheitsversorgung, will eben Weile haben.
Aber: Die Notfallversorgung ist nur ein kleines Segment dieses Milliardenmarktes. Tatsächlich beruhen knapp 80 % des Medikamentenumsatzes auf stets wiederkehrenden Verordnungen für Chroniker. Dieser Bedarf kann also gut vom Patienten abgeschätzt werden und folglich auch im Internet rechtzeitig bestellt werden.
Ich bin mir sicher. So wie wir heute Bücher, Unterhaltungselektronik oder Mode online einkaufen, werden wir in einigen Jahren unsere Medikamente beziehen. Schon jetzt lösen 23 % der Patienten hierzulande Verschreibungen regelmäßig bei Online-Apotheken ein. Im kommenden Jahr wird die Digitalisierung des Apotheken-Marktes zunächst in Deutschland einen enormen Schub erfahren. Denn dann kommt das sog. elektronische Rezept. Es wird die Kommunikation zwischen Patient, Arzt, Apotheke und Krankenversicherung weitgehend digitalisieren.
Anders gesprochen: Künftig lösen Sie Ihr Rezept mittels einer Smartphone-App binnen weniger Sekunden ein. Dann entscheidet der Patient, ob er noch den Weg zur stationären Apotheke antreten oder sich das Präparat postalisch zuschicken lassen wird. Dann werden die Karten in diesem Milliarden-Markt neu gemischt.
Alexander von Parseval
Analyst und Vermögensberater