„Die haben alle nur einen kurzen Gruß auf WhatsApp geschickt. Treuloses Gesindel!“ beschwert sich mein Freund, mit dem ich in der Kneipe bei einem Bier zusammensitze.Vor Kurzem war sein Geburtstag gewesen, nur hatte sich kaum jemand von seinen Freunden und Bekannten bei ihm blicken lassen. Er fühlte sich allein gelassen und unbedeutend. Aber das geht ja nicht nur ihm so. Mir begegnen immer mehr Menschen, die darüber klagen, dass ihnen die echten, menschlichen Kontakte verloren gehen. Das Smartphone scheint immer mehr das persönliche Treffen abzulösen.
Individualisierung oder Vereinzelung?
Was da in unserer Gesellschaft passiert, ist wirklich bedenklich. In den 80ern sprachen die Soziologen noch von „Individualisierung“ – ein Wort, das heute eher positiv aufgefasst wird und worin die viel beschworene Selbstverwirklichung anklingt. Was heute jedoch tatsächlich passiert, ist eher eine Vereinzelung.
Oder wie würden Sie das nennen, wenn Sie sich mit fünf Freunden zum Essen treffen und drei davon den ganzen Abend kaum von ihrem Smartphone aufschauen? Das ist mir tatsächlich passiert. An solchen Abenden bekomme ich wirklich den Eindruck, dass wir gesellschaftlich auf die komplette Entfremdung zusteuern.
Das Handy kann nichts dafür
Einer dieser fünf Freunde ließ am Ende des Abends dann den Kommentar fallen, sein neues Smartphone mache ihn süchtig. Als wäre das Gerät daran schuld, dass er gar nicht mehr richtig da ist, sondern nur noch online.
Wenn Sie finanziell in der Krise stecken, können Sie ja auch nicht einfach behaupten, das Geld sei daran schuld, dass es immer gleich wieder ausgegeben ist. Und genauso wenig ist Ihr Körper daran schuld, wenn Sie Übergewicht haben.
Auch scheint wirklich keiner so richtig damit zufrieden zu sein, dass sich alle nur noch auf Facebook und WhatsApp treffen. Wenn Sie den Dauersmartphonern ins Gesicht schauen, finden Sie normalerweise nicht gerade zufriedene und fröhliche Minen. Für mich steht deshalb fest, dass unsere Gesellschaft dringend wieder mehr persönliche Begegnung und menschliche Nähe braucht.
Zurück zur Menschlichkeit
Das funktioniert natürlich nur, wenn jeder etwas dafür tut. Die Verantwortung für die eigene Vereinsamung muss jeder selbst in die Hand nehmen. Genauso, wie jeder sich selbst reinhängen muss, wenn er mehr Geld zur Verfügung haben will, oder selbst Sport machen muss, wenn er schlanker und sportlicher werden möchte. So muss auch jeder selbst auf andere Menschen zugehen, wenn er Kontakt sucht.
Vielleicht hilft ja ein telefon- und internetfreier Tag. Wenn Ihnen keine virtuelle Kommunikation zur Verfügung steht, können Sie gar nicht anders, als die Menschen persönlich zu treffen. Da mag es Ihnen nochmal passieren, dass Sie spontan zum Handy greifen, um den Nachbarn anzurufen. Aber das ist ja abgeschaltet – handyfreier Tag! Na gut – rübergehen und klingeln. Der Nachbar freut sich bestimmt über einen kleinen Plausch. Wann haben Sie das zuletzt probiert?
Andreas-Enrico Brell