Die klassische Aufteilung des Staates, als Synonym des gemütlichen Beisammenseins und als Hort des allgemeinen Aneinandervorbeilebens, in der beschaulichen Atmosphäre eines ungeheizten Behördenflurs bekommt eigenwilligen Zuwachs. Wie einladend erscheint jetzt das zentrale Möbel der eigenen vier Wände namens Sofa, das vor dem nüsschenschwangeren Schleiflacktisch aus Schweden Eintracht mimt.
Selbst der Schreibtisch vermittelt plötzlich nicht mehr das Gefühl, nur noch Austragungsort des alljährlichen Steuererklärung-Marathons und stolzer Träger einer 40-Watt-Leselampe an der langen Leitung zu sein, wenn er gleichsam das kunstledergepolsterte Zuhause für einen Flachbildmonitor, eine Tastatur und eine kabellose Maus, nebst Drucker und einem hornhautumbra farbenen PC darstellt.
Hier, genau hier, wo sich die Kabel des Anschlusses zur Welt befinden, und gleich einem Nabel Zeugnis dafür geben, als Teil des WWW auserkoren zu sein und mitzumachen, mitzubestimmen und wo immer es machbar ist seinen gepfefferten Senf zu was-auch-immer auszuspeien, ist sie anzutreffen: Die vierte Macht.
Wie oft schon saß ein der Inaktivität Übereigneter vor dem heimischen TV-Gerät und wollte eingreifend agieren, den Schiedsrichter eines wichtigen Länder- oder Pokalspiels unter Zuhilfenahme eines Baseballschlägers pädagogisch wertvoll züchtigen oder dem buckligen Serienkiller mit dem schlimmen Fuß zur Flucht verhelfen, in dem man ihn mit Superkräften ausstaffiert, oder zumindest mit orthopädischem Schuhwerk und einer bei Dunkelheit reflektierenden Gehhilfe beglückt.
Doch dann kam es. Erst langsam und danach stets heftiger: Das World Wide Web. Die Erlösung, die Offenbarung, die Labsal und Rettung aus dem Einerlei. Die Befreiung aus den Handschellen des
Nichtstuns und die Grundsteinlegung für gigantische Unternehmungen aller Coleur. Besäße das WWW eine eigene Postleitzahl, fänden sich darunter mehr Personen ein, als es viele Briefkastenfirmen
woanders realisieren.
Unüberschaubar hoch ist demnach der Anteil der imponderablen, netzaffinen und routerverkabelten Bevölkerungsschicht namens Netz; gerne auch shitstormende Bande bizarrer Freaks genannt. Hier böte
sich der als Name gebügelte Begriff "Neco-Aktive" (Neco = Net-Community) als Teil der Legislative an und ergänzte gleichsam sinnvoll die ebenso bekannten Teile namens Exekutive und
Judikative.
Kaum eine News- oder Themensendung und kaum ein Magazin kommen noch ohne die Erwähnung bzw. die Berücksichtigung der vierten Macht aus: Die Neco-Aktive, die Neco-Aktivisten, die aktive
Netzgemeinde mit der Lizenz zum Posten. Das Medium Internet ist nicht mehr wegzudenken, nicht mehr zu leugnen und keinesfalls zu unterschätzen. Jede unbedachte Äußerung, Bewegung oder sonstige
trottelige Einfallspinselei irgendwelcher Ahnungslosen, wird entweder gefeiert oder mit Ungnade beworfen.
Auch die unübertroffene Schnelligkeit in der Verbreitung wertzuschätzender Fettnäpfchen spielt eine maßgebliche Rolle. Kurzmitteilungsdienste bieten dazu weltweit ihre Plattformen an und sind
beliebter Treffpunkt aller Newshunter. Jeder ist mit jedem verkabelt und jeder kann an dieser Vernetzung teilnehmen. Ein derartiges Spektakel erfährt die Offline-Welt sonst nur zum Jahresende,
wenn jeder jeden per Telefon zu erreichen wünscht, um Neujahrsgrüße abzuliefern.
Es scheint demnach ein in jedem Menschen verwurzeltes Bedürfnis zu sein, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen und sei es nur zum Mobben. Begriffe werden zum schnellen Wiederauffinden und zur
optimalen Konnektivität mit einem Hashtag (#), mit Keywords oder sonstigen Verpackungskünsten des #WEB 2.0 versehen und mit einem erhabenen Mausklick in die unendlichen Tiefen des Internets
verabschiedet.
Lutz Spilker