Network-Karriere Gastautor Lutz Spilker hat es schwer erwischt. Sein Fernseher ist kaputt und er ist damit regelrecht von der Welt abgeschnitten. Wir haben echtes Mitleid mit ihm. Sein trauriges Schicksal nimmt seinen Lauf.
Keine Nachrichten. Wie einsam, verlassen und völlig entrückt man sich fühlt, wenn der Fernseher streikt und keine Nachrichten den Tag einläuten. Auch das Internet bietet keine große Hilfe, wenn der Fernseher als Monitor genutzt wird, aber – wie erwähnt – streikt. Dann ist der Tag hin; zumindest jedoch völlig anders. Irritiert gehe ich ans Fenster. Schwein gehabt, das Wetter ist noch da. Aber welche Temperaturen werden erwartet? Ich fühle mich kommenden Erwartungen gegenüber nicht angemessen vorbereitet.
Und dann diese bange Ungewissheit tief in mir. Jeder der mir jetzt entgegenkommt und normal informiert wurde sieht es mir an: ich habe noch keine Nachrichten konsumiert. Eine Tasse Kaffee, zwei Scheiben Toast mit Aprikosenmarmelade und einige Weintrauben habe ich gegessen, aber noch keine Nachrichten im Fernsehen gesehen. Mein Horoskop wird es mir übel nehmen, schätze ich.
Am liebsten würde ich mich wieder ins Bett verkriechen, die Decke über den Kopf ziehen und warten, bis der neue Fernseher geliefert wird. Ohne Nachrichten gesehen zu haben ist man gesellschaftlich eine Null. Man kann nicht mitreden. Man fühlt sich ausgestoßen. Es ist entwürdigend. Alle gucken so auf mich herab, als wüssten sie etwas. Vielleicht ist ja auch was passiert und ich bin der Einzige, der es nicht weiß. Das belastet.
Irgendwo herrscht Überschwemmung, weil ein Staudamm aufgrund oberflächlicher Berechnungen der Statik brach und in 5 Postleitzahlbezirken für Hochwasser in der zweiten Etage sorgte. Dumme Sache, wenn man dann keinen Wischlappen zur Hand hat. Auch sollte man umgehend das Kabel des Fernsehers aus der Wand ziehen, sonst ist mit der Funktion des teuren Geräts nicht mehr zu rechnen und den Leuten ergeht es wie mir, wenn sie dann ohne Nachrichten dastehen.
Keine Nachrichten. Hoffentlich wurde nicht wieder versehentlich das Internet gelöscht. Die Leute klicken bloß noch rum. Überall Viren. Furchtbar. Und die Sportmeldungen? Auch keine. Vielleicht hat ja eine Mannschaft gewonnen, nach der Verlängerung sogar. Oder irgendjemand hat einen neuen Weltrekord aufgestellt. Das wärs doch. Und ich habs nicht gesehen, weil ich kein Fernsehen gucken kann. Man kommt sich vor wie auf einem anderen Planeten.
Da. Vielleicht sind schon UFO’s gelandet und haben die Erde gekapert. Möglich ist alles. Morgen steht dieser Planet bei eBay zum Schnäppchenpreis im Regal. Kann ja auch sein, dass Krieg herrscht. Die Hottentotten sind außer Rand und Band. Mich kann man als Reservisten nicht mehr einziehen. Ich bin Brillenträger. Und woher soll ichs wissen, wenn der Fernseher dahin ist. Zeitung? Kriegen wir nicht. Ich esse keinen Fisch und wozu bräuchten wir dann eine Zeitung?
Lutz Spilker